Jeder Mensch hat seinen "Wohlfühlbereich"
Herr Dr. Strienz, Ihr zuletzt erschienener Ratgeber mit dem Titel „Schilddrüsenunterfunktion“ trägt den Untertitel „Besser auf die Symptome achten!“ – hat also stark auffordernden Charakter. Wird nicht genug auf die Symptome geachtet?
Leider kommt es häufig vor, dass Therapieentscheidungen nur nach Laborbefunden getroffen werden. Die Beschwerden des Patienten bleiben dagegen unberücksichtigt.
Sind Laborwerte nicht sichere Indikatoren für eine Erkrankung? Dagegen erscheinen die möglichen Symptome so vielfältig, dass sie doch sicher leicht auf eine falsche Fährte führen?
Das ist richtig. Laborbefunde sind sicherlich bedeutende Eckpfeiler für eine Therapieentscheidung. Leider sind aber die Normbereiche sehr weit gefasst und es gibt keine sogenannten Grauzonen. Jeder Mensch hat innerhalb des Normbereichs seinen „Wohlfühlbereich“. Fällt er aus seinem „Wohlfühlbereich“ heraus, dann können sich Symptome einstellen. Symptome und Laborbefunde gehören zusammen.
Was raten Sie Patientinnen und Patienten, die bei sich eine Schilddrüsenunterfunktion vermuten?
Hilfreich für den Arzt ist eine Zusammenstellung der Symptome. „Wie war es vorher und wie ist es jetzt? Bestehen die Beschwerden auch am Wochenende oder im Urlaub? Hatten Verwandte oder Freunde ähnliche Beschwerden und es wurde dann eine Schilddrüsenunterfunktion diagnostiziert?“ Diese Zusammenstellung lege ich beim Arztbesuch dann dem Arzt vor. Gleichzeitig bitte ich um eine Blutabnahme.
Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, dass Betroffene sich ein gewisses Maß an medizinischem Wissen zur Schilddrüsenunterfunktion aneignen?
Die Diagnostik und Therapie einer Schilddrüsenunterfunktion ist sehr komplex. Bei den Ärzten bestehen unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche Diagnostik durchgeführt werden soll, wann eine Therapie begonnen werden soll, welche Medikamente eingesetzt werden sollen und welche Ziele erreicht werden sollen. Der Patient mit medizinischem Wissen ist in der Lage seinen Arzt besser zu steuern. Dadurch kann der Patient ein besseres Ergebnis erzielen.
Was sind aus Ihrer Sicht die häufigsten Irrtümer, die über die Schilddrüsenunterfunktion kursieren?
Die häufigsten Irrtümer sind:
Aus der Sicht des Arztes:
1. Muss nur selten behandelt werden
2. Ist ohne Probleme therapierbar
3. Kontrollen reichen ein Mal im Jahr
4. Hat nur geringen Krankheitswert
5. Wird überbewertet
6. Sind oft schwierige Patienten, die Forderungen stellen
7. Haben eher eine Depression
8. Sollten antidepressiv therapiert werden
Aus der Sicht des Patienten:
1. Mehr Schilddrüsenhormon beseitigt meine Beschwerden rascher
2. Laborkontrollen in kurzen Abständen führen schneller zum Ziel
3. Hormone vom Schwein helfen mir besser
4. Meine Beschwerden kommen nur von der Schilddrüse
5. Meine Kinder oder meine Angehörigen leiden auch an einer Schilddrüsenunterfunktion
Was erhoffen Sie sich für die Zukunft, wenn Sie an Patienten mit einer Schilddrüsenunterfunktion denken?
Die Symptome und Beschwerden des Patienten sollten stärker bei Diagnostik und Therapie berücksichtigt werden. Eine Therapieentscheidung sollte früher getroffen werden, um die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Auch bei Kindern sollte an eine Schilddrüsenunterfunktion gedacht werden. Die Normbereiche der Schilddrüsenwerte sollten gerade bei Kindern kritisch überprüft werden und ebenso wie bei den Erwachsenen an die nun exakter messenden Testsysteme angepasst werden.
Buchinfos zum Ratgeber "Schilddrüsenunterfunktion" von Dr. Joachim Strienz